Tenorhorn und der „Blaue Enzian“ für immer stumm

Franz Reinartz, ein ganz großer Roetgener, starb mit 93 Jahren

Roetgen. Große Trauer und Bestürzung in Roetgen, besonders bei der Musikvereinigung Roetgen: Franz Reinartz, der „Karajan Roetgens“, ist tot. Er starb im Alter von 93 Jahren. Die Blasmusik war sein Leben. Reinartz gehörte zu denen, die Musik noch von Hand gemacht haben. Die Musik war es, die sich wie ein roter Faden durch sein Leben gezogen hat. Ob Geige, Gitarre, Klavier, Tenorhorn. Oder mit Stab am Dirigentenpult, an Franz Reinartz kam kein Instrument vorbei.

Dieser Mann, liebevoll „Karajan von Roetgen“ genannt, kannte die Szene wie kein Zweiter. Reinartz war bis vor seinem Tode noch „kein bisschen leise.“ Und Reinartz war es, der die musikalische Geschichte der Musikvereinigung Roetgen entscheidend mitgeprägt hat. Als dieser Klangkörper 1952 sich gründete, war Reinartz als junger 

Musiker mit von der Partie. Bei der Gründung standen drei Tanzkapellen Pate. Wer wohl hatte dort seine Finger im Spiel? Franz Reinartz, ein Musikus von Gottes Gnaden. Bei der Kirmes, bei den Schützenfesten wurde frisch aufgespielt. „Da wurde noch Musik von Hand gemacht“, erzählte er 2016 stolz. Ohne Verstärker, ohne Technik, alles lief dennoch laut und deutlich.

Und Franz Reinartz erzählte munter drauf los, von zahlreichen „Ohrwürmern“, die ihm viele Jahre in den Ohren lagen. Die er rauf und runter gespielt habe. Sie alle wurden zu echten Evergreens, die so richtig zu Herzen gingen. „Da sangen alle kräftig mit, da kam Stimmung auf“, ließ er wissen. „Seine“ Kapellen bedienten sich mit Salonmusik, von Rock war gar nicht erst die Rede. Reinartz kannte zwar die Beatles, die Rolling Stones, Glenn Miller, Bandleader Harry James, der Entdecker von Frank Sinatra und Louis „Satchmo“ Armstrong. „Die machten alle gute und schöne Musik, war aber nie mein Ding“, erzählt er.

Für ihn kamen andere Stars in Frage, so Ernst Mosch, der mit seinen Egerländer Musikanten die „Kinder von der Eger“ drauf hatte. Slavko Avsenik und seine Original Oberkrainer mit dem weltbekannten „Trompeten-Echo.“ Nicht genug, Franz Reinartz kannte sie alle, die „Großen“ der Musikszene. So James Last, Paul Kuhn. Bei diesen Namen ging dem echten Roetgener das Musik-Herz auf.

„Den Ernst Mosch habe ich live erlebt, eine ganz tolle Sache“, schwärmte „Karajan“ in den höchsten Tönen. Und der niederländische Star André Rieu ist für ihn ein großartiger Geiger. Dem wollte er ebenfalls mit dem Johann-Strauß-Orchester gerne begegnen.

Apropos Geige, Reinartz kam zu „seiner“ Geige, zu einer „Fidel“, die seine Eltern dem Bub zum Geschenk machten, als 1946 seine musikalische Laufbahn begann. Damals, in den Nachkriegsjahren, für 2500 Reichsmark. „Und die haben noch ein Pfund gute Butter draufgelegt“, lachte Reinartz, der sofort Geigenunterricht nahm, um in den Roetgener Tanzkapellen mitspielen zu können. Nur Geige? Nein, er kaufte sich für teures Geld in Aachen eine Gitarre dazu. War das schon alles? Mitnichten, denn es reifte bei ihm die Liebe zu einem Tenorhorn. Obwohl er von Tuten und Blasen nicht den geringsten Schimmer hatte, ließ er sein autodidaktisches Gespür zum Tragen kommen. Der damalige Bassist Alfons Cosler skizzierte Reinartz auf einem Bierdeckel an der Theke die erforderliche Grifftabelle. „So kam ich 1957 zum Spielen auf diesem Instrument“, sagt er. Und das bis vor seinem Tode. Wenn auch nur noch für den Hausgebrauch.

Beim Besuch des Chronisten in Reinartz Haus dauerte es nicht lange, da holte das „Urgestein der Musik“ besagtes Tenorhorn hervor. Nahm vor seinem Klavier Platz, setzte an, blies ins Blech und die ersten sonoren Töne erklangen. Unverkennbar Heinos unvergessenen „Blauen Enzian.“ Wahnsinn! Der Mann hat was drauf!

Bei der Musikvereinigung Roetgen spielte Franz Reinartz auf seinem geliebten Tenorhorn – bis er im Herbst 1973, ohne bis dato einen Dirigentenlehrgang absolviert hatte, den Taktstock in die Hand gedrückt bekam und fürderhin dem Klangkörper als „Karajan“ vorstand. Dann hat er doch noch Lehrgänge besucht, bekam halt Lust auf mehr. Ja, er wagte sich sogar an sein erstes Konzert ran. 25 Musikanten spielten unter seiner Führung munter auf. Leichte und fröhliche Stücke. Von da an ging es bergauf. Unter seiner Stabführung schaffte man den Sprung in die Unterstufe bis hin zu einem Oberstufen-Orchester. 23 Jahre lang leitete Franz Reinartz die Musikvereinigung Roetgen, war mit ihnen in den USA, spielte bei der Steubenparade auf der 5th Avenue in New York auf. 1006 Proben und 649 Auftritte hat er „fest notiert.“

In seinem Haus zieren stolze Ehrungen und Urkunden die Wände, darunter auch die CISM-Verdienstmedaille, die international höchste Auszeichnung für aktive Musiker, verliehen vom Internationalen Volksmusikerbund. 1994 erhielt Reinartz von der Musikvereinigung Roetgen den Titel „Ehrendirigent“ verliehen. Dann aber überreichte er seinem Sohn Manfred den Dirigentenstab, der mit der Musikvereinigung nahtlos an die Erfolge seines Vaters anknüpfte.

Seine beiden Söhne Manfred und Dieter, auch seine Enkelkinder Christian, Patrick und Sabrina, scheinen reichlich Musikerblut vom Opa mitbekommen zu haben. Darauf war Franz Reinartz immer ganz besonders stolz. Das genoss er, das sei eine sehr schöne Sache für ihn, verriet er.

Die Musik von Franz Reinartz ist verklungen. Das Tenorhorn verstummt. Aber sein Name als ganz großer Musiker, der bleibt bestehen. Roetgen wird diesen Mann vermissen. Denn er war einer von ihnen. „Ein ganz Großer.“ Die Trauerfeier für Franz Reinartz fand am Freitag, 4. November in der Pfarrkirche St. Hubertus in Roetgen statt.

Text und Foto (gs)


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Das waren noch Zeiten, als der Meister im hohen Alter von 87 Jahren noch auf dem Tenorhorn Heinos „Blauen Enzian“ erklingen ließ. Foto: Günther Sander