Die gute alte Drehorgel

Mit kleiner Kurbel der Dreh zum Herzen

Früher, ja früher, so zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah man sie oft. Da gab es keinen Strom und die Musik wurde noch mit der Hand gemacht. Sie zogen durch die Straßen und über Hinterhöfe und spielten: Die Drehorgelspieler. Was in Schottland der Dudelsack, war in Deutschland – vor allem in Berlin – die Drehorgel. Eine aussterbende Tradition, wegen fehlender Spieler und Nachwuchs? Leider ja. Aber in der Eifel sind sie aus dem Dorf- und Stadtbild nicht völlig verschwunden. Da sind sie wieder präsent und stehen im Drehorgelfieber: Martina Kettges und Erwin Kratz als Duo, Dominik Kirchartz als 1. Euskirchener Drehorgelorchester und Winfried Kubitza- Drehorgel Simon sein Künstlername. Sie pflegen diese Tradition im Einzel-, Duo-, oder im gemeinsamen Spiel. Sie alle sind in 

ihrem Privatleben Drehorgelspieler mit Leib und Seele- ein Freundeskreis mit gleichen Macken, aber kein Verein.

Die Organisation der Truppe liegt in den Händen von Simon. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen. „In unserem Kreis ist keiner auf den anderen neidisch. Alle Zuwendungen unseres Publikums aus dem bereitgestellten „Koffer“ gehen in einen Topf. Aber bei unseren Auftritten geht es nicht ums Geld. Wir wollen den Menschen nur Freude bereiten“, erläutert Simon seine und die Einstellung seiner Musikkollegen. Martina die begeisterte Drehorgelfrau: Ein perfekter Ausgleich vom Alltag. Für uns ist das Spiel und die Begegnung mit den Menschen sehr wichtig. Besonders schön ist es, wenn bei unseren Auftritten dann noch Kinder vor der Drehorgel tanzen. Gäbe es das Drehorgelspiel nicht, müsste man es erfinden. „Die Emanzipation war eben auch in der Eifel nicht aufzuhalten, auch wenn es schon längst Drehorgelfrauen gibt“, sagt der Akkordeonspielende männliche Partner des Duo -Erwin, nicht ohne Stolz auf seine Partnerin.



“Wir haben inzwischen ein Programm von Klassik, Schlagern, kölschen Liedern und weiteren Gassenhauern, von 18-hundert irgendwann bis hin zu Helen Fischers „Atemlos“, sowie auch Eigenkompositionen“, so Dominik mit seinem Motto: Für sie drehe ich am Rad. Der wunderbare Klang der Drehorgel weckt eben auch Erinnerungen an die „gute alte Zeit“. „Weiter dazu gehören auch Balladen und Moritaten, das Euskirchen- Lied, sowie die Protesthymne der Gleichberechtigung der Frauen im Iran“, weist Dominik auf das große Repertoire hin. “Es macht uns allen Spaß, wenn wir sehen wie das Publikum mitmacht. Natürlich dürfen die Schaulustigen auch mal selbst an der Kurbel drehen, und in den eigenartigen klingenden Kasten reingucken“, sagen die Protagonisten unisono. Bei ihren Auftritten spielen auch die Kostüme eine große Rolle. Martina hat verschiedene nostalgische Kostüme, angelehnt an die 20-iger Jahre. Erwin bevorzugt 

Anzug, Hemd mit komischem Kragen- Vatermörder, und immer Zylinder. Simon wartet mit Hut oder Kappe, Karo Hose und Fliege auf. Dominik spielt im Räuberzivil. Wie viele Drehorgelspieler platzieren sie alle einen Plüschaffen auf ihrem Instrument. Dies soll an die Zeit erinnern, als umherziehende Musikanten oft von einem lebenden Äffchen begleitet wurden. Das Äffchen war eine zusätzliche Attraktion - besonders für die Kinder - und hatte meist die Aufgabe, Münzen bei den Umstehenden einzusammeln.


Die Truppe ist aber nicht nur von „Äffchen“ umgeben. Sie wartet auch mit jeder Menge „Pfeifen“ auf. Somit wären wir beim technischen Teil der Instrumente. Martinas Drehorgel hat 76 Pfeifen und 37 Tonstufen - kleine Perkussion, und ist Baujahr 1995. Dominiks eine Drehorgel hat ebenfalls 76 Pfeifen, aber zweimal 38 Tonstufen - große Perkussion mit Schlagzeug und Glockenspiel, Baujahr 1995. Die andere 119 Pfeifen, 43 Tonstufen und drei schaltbare Register, Baujahr 2016. Weiter zwei 

Akkordeons Watterott mit 40 Tonstufen. Simons Instrument ist das älteste, Baujahr 1970 mit 20 Pfeifen und 18 Tonstufen. Erwin spielt auf dem Akkordeon Watterott Baujahr 2020 mit 40 Tonstufen Rhythmusfülle, große und kleine Perkussion. Zusammen als Orchester verfügen sie über vier Drehorgeln, drei Akkordeon, ein Susaphone – eine Form der Tuba - und ein Schlagzeug. Die Entwicklung der Drehorgel lässt sich bis zum Jahr 1700 zurückverfolgen.

Bei der damaligen Technik handelte es sich um sogenannte Walzenorgeln. Anfang des 20. Jahrhunderts haben dann das Lochband und die Lochkarte die Stiftwalze abgelöst. Mit der Weiterentwicklung der elektronischen Speicherchips in den 1980er Jahren- im Allgemeinen unter Microchip bekannt - hielt die Elektronik Einzug im Drehorgelbau. Drehorgeln mit elektronischer Steuerung sind aber immer noch handgespielte Musikinstrumente mit Klangbildung durch Pfeifen. Nur die Speicherung und die Steuerung der Musikstücke erfolgt 


elektronisch. Gekurbelt wird immer noch. Der Klang der Orgel wird durch die elektronische Steuerung nicht beeinflusst, es können aber, je nach Speicherchip, eine viel größere Anzahl von Musikstücken abgespeichert werden, die einzeln abrufbar sind, und über Funk unter einander auch kompatibel sind. Außer der Drehorgel von Simon, diese ist zu alt für die neue Technik. Wann waren nun die ersten Berührungen mit der Faszination Drehorgelspiel? Martina hatte diese bereits vor 15 Jahren, und kam dann als Duo vor neun Jahren mit Erwin zusammen. Dominik kam 1995 durch seinen inzwischen verstorbenen Vater zu ersten Aktivitäten und gemeinsamen Auftritten.

Da war er vierzehn Jahre, und die Orgel war geliehen. Simon hat seit einem Jahr aus dem Nachlass der allseits bekannten und weltweit aufspielende „Orgel- Anita“ seine Drehorgel erstanden. Nach Corona bedingten über zwei Jahren mit sporadischen Auftritten überwiegend in Altenheimen drehen alle wieder verstärkt an ihren Instrumenten, auch honorarfrei für den guten Zweck, wie Aktion Deutschland hilft, AIDS- Hilfe und ähnliche Veranstaltungen. „Wir spielen auf Jahrmärkten, Kirmessen, Basaren, Kirchenfesten und Aktionstagen aller Art, allen möglichen Events bis hin zu Familienfeiern, teilweise mit finanzieller Unterstützung von Sponsoren und Vereinen. Und „da es sich in unserem Metier langsam wieder normalisiert hat, habe ich auch wieder vermehrt Anfragen“, weist Simon auf die aktuell wieder erfreuliche Situation hin. Natürlich sind die Buchungen zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel immer ein besonderes Event, und so bringt der Freundeskreis Weihnachts- und 


Silvesterstimmung nicht nur auf die Straße. Sie haben sich dem Drehorgelspiel verschrieben, und so drehen, drehen, und drehen sie, zünftig, stilvoll, mit viel Spaß und Herzblut. Wie sagte schon Aristoteles: Im Wesen von Musik liegt es, Freude zu machen. Drehorgelspiel kann vielleicht nicht die Welt retten, aber ab und zu deine Seele.

Informationen unter:

Drehorgel Simon- Mobil 0151 68814820wisimon@gmx.de ;

facebook und Instagram: Drehorgel Simon

Orgelduo Martina & Erwin – Mobil 015172011770 - martinakettges@t-online.de

1.Euskirchener Drehorgelorchester Dominik Kirchartz Mobil: 0163 3669307 

drehorgelorchester@gmail.com

 

Autor: Peter Meurer

Fotos: Drehorgel Freundeskreis