Mit dem Zeitreisebus Vergangenheit entdecken

Nideggen/Region. Heimatgeschichte ist langweilig? Von wegen! Denn es kommt vor allem darauf an, dass sie selbst erforscht werden darf. Genau dieser Gedanke steckt hinter dem Zeitreisebus, einem neuen und spannenden Projekt aus Nideggen-Embken. Beim Bus ist der Name Programm: Der UAZ Buchanka wird seit 1957 fast unverändert gebaut und ist damit das älteste Serienfahrzeug der Welt. „Buchanka“ bedeutet übrigens Kastenbrot und beschreibt perfekt die knuffige Form des Mobils. Sein charmantes Äußeres ist aber nur der eine Grund, warum die Wahl auf dieses Modell fiel. 

Daniel Schöller und Anke Leitzgen

Fast noch wichtiger ist, dass es durch die Geländetauglichkeit des Allradfahrzeugs kaum einen Ort gibt, den der Bus nicht erreichen kann. Genau das ist nämlich für eine aufsuchende Kulturarbeit auf dem Land eine wichtige Voraussetzung. Denn der Zeitreisebus fährt nicht mit einer Gruppe durch die Gegend, sondern kommt als mobiles Labor vorgefahren, um überall, wo er gebraucht wird, eine Art außerschulisches Klassenzimmer aufzubauen.

Wie in einem Tiny-House wird jeder Zentimeter im Bus effektiv genutzt. So befindet sich Innenraum ein komplettes Büro mit Internet, Foto-Equipment, Podcast-Studio, sowie eine vollwertige Küche mit Kochmöglichkeit, Mini-Kühlschrank und Waschbecken. Platz für Gimmicks gibt es natürlich auch: Zwischen Fahrer- und Beifahrersitz leuchtet und blinkt, was einen Bus in Zeitreisebus verwandelt: ein Fluxx-Kompensator! Eine große Rundum-Markise schützt vor Nieselregen und zu viel Sonne. Klappstühle und -tische sind mit einem Handgriff ausgepackt und aufgebaut. Und dann kann es auch schon losgehen für alle interessierten Zeitreisenden: Es werden historische Gebäude und Plätze erforscht, frisch gegrubberte Acker nach Tonscherben oder Metall abgesucht, Flohmarktstände nach alten Fotos durchstöbert, Archive besucht oder in Bächen nach alten Sachen Ausschau gehalten.


Aber das Finden ist immer nur die eine Seite. Spannend wird es, mehr über die kleinen gefundenen Schätze und damit auch über die Geschichte herauszufinden. Das wiederum gelingt in Gesprächen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, beim Lesen der Dorfchronik oder einem Archivbesuch und vor allem im Gespräch mit Expertinnen und Experten etwa aus Archäologie oder Bauforschung. „Wir wissen aus der Lernforschung, aber auch aus der ganz praktischen Erfahrung, dass Interesse an einem Thema erst dann entsteht, wenn die Frage beantwortet wird: `Was hat das mit mir zu tun?´“, sagt Anke Leitzgen, „deshalb besteht unser Ansatz darin, Kinder, Jugendliche und Erwachsene erst einmal entdecken zu lassen. Denn auf diese Weise entstehen die unterschiedlichsten Fragen, an die sich wunderbar anknüpfen lässt, so dass ein Bildungserlebnis entsteht, das in den Köpfen hängenbleibt.“ Die Bildungsdesignerin entwickelt Konzepte, die über alle Altersgruppen hinweg begeistern.

In Nideggen-Embken hat sie gemeinsam mit Daniel Schöller den Zeitreisebus entwickelt. Der Jugendsozialarbeiter der Stadt Nideggen hat dort in gerade Mal 18 Monaten ein beispielgebendes Angebot für Kinder und Jugendliche etablieren können, in dem auch der Zeitreisebus eine Rolle spielt. Für dessen Erfolg und die Akzeptanz sind Schöllers persönliche Begeisterung für die Geschichte seines Heimatorts Embken, sowie seine weitreichenden Kontakte zu Schulen und Vereinen vielleicht der wichtigste Schlüssel: „Ich erinnere mich gern daran zurück, wenn meine Großeltern Geschichten von früher erzählt haben. So viele schöne, lustige und traurige Ereignisse, die sie selbst oder ihre Vorfahren erlebt haben.

Und je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest, dass es nicht nur ihre Geschichte war, sondern sie auch zu meiner eigenen Geschichte geworden ist. Ich habe selbst zwei Kinder. An sie möchte ich all die Erzählungen weitergeben, damit sie erfahren, woher sie kommen. Das ist für mich ein wichtiger Teil der Erziehung. Das gilt in einem erweiterten Sinn, aber auch für die Kinder und Jugendlichen, mit denen ich beruflich zu tun habe. Es gibt viele Gründe, warum ein Kind hier in der Eifel groß wird, ihre Großeltern und Eltern aber vielleicht ganz woanders aufgewachsen sind. Ich bin fest überzeugt, dass es auch für sie wichtig ist, die Geschichte ihrer Heimatorte mitzugeben. Und das ist ein wesentlicher Grund, warum wir auf die Idee für den Zeitreisebus gekommen sind.“


„Mit dem Projekt ZRB habe ich die wertvolle Chance, meine eigene Begeisterung für den Blick zurück, an alle Teilnehmenden weiterzugeben. Und natürlich bin ich jedes Mal wahnsinnig stolz, zu demonstrieren, was der Bus leisten kann, wie unglaublich positiv so viele Menschen auf den Bus reagieren und wie toll das Feedback auf all unsere Expeditionen war,“ sagt Daniel Schöller. Denn obwohl der Zeitreisebus erst seit etwas mehr als einem halbe Jahr unterwegs ist, konnte er sich bereits bei zahlreichen Aktionen als nachhaltiger Geschichtsvermittler beweisen. 

So wurde bereits die Geschichte der Mainacht in der Eifel erforscht. Eine Schulklasse der Gesamtschule Nideggen hat eine archäologisch begleitete Ausgrabung auf einem Gelände durchgeführt, auf dem vor 1600 Jahren eine römische Villa stand. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die auf dem Instagram-Account Zeitreisebus als lebendige Schulterblicke dokumentiert zu finden sind. Kurz: Die Zeitreise endet hier noch lange nicht, sondern hat gerade erst begonnen. Und mit etwas Glück, sieht man den Buchanka, das graue Kastenbrot, vielleicht mal im Projekt oder ganz einfach auf dem Parkplatz neben dem eigenen Auto stehen.

Infobox:

Der Zeitreisebus wurde von Daniel Schöller (soziale-konzepte.de) und Anke Leitzgen (tinkerbrain.de) ins Leben gerufen und vom Heimatministerium NRW gefördert. Der wunderschöne Zeitstrahl, der rund um den Zeitreisebus die Geschichte von Embken erzählt, wurde von Hans Baltzer von Hand aufgezeichnet. Hans Baltzer ist Professor für Illustration in Berlin und hat zahlreiche erfolgreiche Kindersachbücher illustriert. Kontakt und alle weiteren Infos unter zeitreisebus.de


(bvl)